Heldenreise bezeichnet zum einen eine bestimmte dramaturgische Gestaltung von Geschichten, zum anderen heißt so eine darauf aufbauende Langform.

Inhaltsverzeichnis

Dramaturgie

Die sog. Heldenreise findet sich als ein dramaturgisches Grundkonzept in vielen Mythen, Märchen, Romanen und Kinofilmen (z.B. in Lucas' "Star Wars"). Insbesondere die Archetypen, zum Teil auch der typische dramaturgische Ablauf können bei der Gestaltung von Langformen nutzbar gemacht werden, beispielsweise beim Reigen, der sich ja in der Regel um eine Person, also einen „Helden“ dreht. Das (Drehbuch-) Konzept der Heldenreise hat Christopher Vogler mit seinem Buch "The Writer's Journey" (Die Odyssee des Drehbuchschreibers) bekannt gemacht.

Ablauf

Vogler orientiert sich an Joseph Campbells Modell der Heldenreise ("Der Heros in tausend Gestalten"). Dieses Modell ist auch die Grundlage für die unten beschriebene Langform.

Folgender Ablauf ist - frei nach Vogler - typisch für eine Heldenreise:

1. Es wird die gewohnte Welt gezeigt (Exposition). Dient dazu, den Kontrast zur (zukünftigen) neuen fremdartigen Welt deutlich zu machen. (Impromäßig: (auch) Routinen etablieren)

Beispiele: Helga quält sich durch ihren Alltag mit Teilzeitstelle und zwei Kindern; Rentner Horst befindet sich wieder einmal auf einem Kreuzfahrtschiff; Cowboy Bills Arbeitstag wird gezeigt und der anschließende Feierabend am Lagerfeuer.

2. Ruf zum Abenteuer: Der Held spürt einen Mangel, hat ein Problem, spürt eine Herausforderung. Ihm fehlt etwas Wichtiges, ihm ist etwas weggenommen worden.

Beispiele: Familienangehöriger gestorben, Ermordung/Entführung eines Freundes, Unfähigkeit, etwas zu verzeihen.

3. Weigerung: Der Held zögert, dem Ruf zu folgen. Beispielsweise weil er Angst hat oder Sicherheiten nicht aufgeben mag.

Beispiele: Ritter Kunos Burgfräulein Kunigunde bittet diesen auf Knien und herzergreifend weinend, nicht in den Krieg zu ziehen; Alkoholiker Gerd findet eine Flasche Schnaps hinter dem Karton, in dem sich seine Fahrkarte nach Australien befindet.

4. Aufbruch: Der Held überwindet seine zögerliche Haltung, entweder aufgrund eines zusätzlichen Impulses (z.B. durch einen Mentor [s.u.]), des Eintretens neuer Umstände und macht sich auf die Reise.

Beispiele: Tochter Nelly sagt flehend: "Papa, ich brauche das Elixier, mit dem Bein wird es immer schlimmer!"; das Wetter wird immer schlechter, Commander Clark muss aufbrechen, sonst kann er den Untergang nicht verhindern

5. Die erste Schwelle zur unbekannten Welt des Abenteuers ist zugleich der erste Wendepunkt: Der Held muss schwere Prüfungen bestehen. Kann sich als Kampf gegen die eigenen inneren Widerstände und Illusionen erweisen.

Beispiele: Rauhes Wetter, das das Ablegen des Schiffes unumgänglich macht; der Fesselballon löst sich, dem Helden wird eine Frist zur Erfüllung einer Aufgabe gesetzt; Kampf mit dem Drachen.

6. In der neuen unbekannten Welt muss der Held immer wieder Bewährungsproben bestehen, er gewinnt Verbündete, wird mit Feinden konfrontiert.

Beispiele: Saloon im Western, Bauch des Wales,

7. Der Held gelangt in die unmittelbare Nähe eines gefährlichen Ortes(sog. "tiefste Höhle" , "empfindlichster Kern"). Hier befindet sich das Ziel seiner Wünsche. Manchmal gibt's noch eine Liebesszene. Aber schließlich kommt es zur direkten Konfrontation, meist ein Kampf um Leben und Tod mit einer feindlichen Macht. Hier findet die entscheidende Prüfung des Helden statt. Das ist der Höhepunkt der Geschichte.

Beispiele:

8. Der Held überlebt diese existenzielle Situation und erhält eine Belohnung: das Elixier, das Heilmittel, um die Welt des Helden weder in Balance zu bringen. Auch erhält er nun Anerkennung, eventuell Respekt ehemaliger Gegner.

Beispiele: der Held ergreift das Zauberschwert; er erhält einen symbolisch bedeutungsvollen Gegenstand (den heiligen Gral); er erkämpft das Medikament, das die Menschheit retten wird; er gewinnt neue Fähigkeiten.

9. Auf seinem Rückweg in die gewohnte Welt muss sich der Held den Konsequenzen stellen, die sich aus der Konfrontation mit der feindlichen Macht (7.) ergeben haben. Oft Verfolgungsszenen, abschließende Prüfung des "gewandelten" Helden (Bewährungsprobe: hat er sich wirklich gewandelt?), evtl. holt die feindliche Macht zum letzten Schlag aus.

Beispiele: Verfolgungsjagd mit Raumschiff, Pferd oder Auto; einer der Gefährten wird gefangen genommen; dem Helden wird das Zauberschwert abgenommen; Held wird vor eine tragische Liebeswahl gestellt.

10. Die Rückkehr in die gewohnt Welt findet mit neuen Einsichten statt. Das "Elixier" wird angewendet, um den Missstand zu beseitigen, der die Welt aus den Fugen brachte.

Beispiele:

Archetypen

Die sog. Archetypen sind menschliche Urmuster. Sie spielen nicht nur in der Psychoanalyse von C. G. Jung eine Rolle, sondern auch in der Dramaturgie der Heldenreise. Die Spieler sind nicht zwingend auf einen Archetypen festgelegt, ihr Archetyp kann während der Geschichte durchaus wechseln! Auch der Held kann zeitweise z.B. als Trickster oder als Schwellenhüter (er muss einen inneren Widerstand überwinden) auftreten. Die Archetypen müssen nicht unbedingt reale Personen sein, es können auch Ängste, Psychosen, Geheimnisse, Hindernisse sein (z.B. kann Schwellenhüter ein verschlossenes Tor sein). Die meisten Archetypen können an jeder Station der Reise auftreten.

Vogler unterscheidet sieben Archetypen:

1. Held

Der Held ist die Hauptperson der Geschichte. Er ist die Identifikationsfigur für die Leser/Zuschauer. Er ist die aktivste Person, lernt am meisten und wandelt sich am stärksten (impromäßig: „lass dich verändern!“). Er wird bespielt.
Der Held kann je nach Geschichte sehr unterschiedliche Charaktere aufweisen: aktiv, passiv, „Antiheld“, Einzelgänger, Märtyrer, Krieger usw.

2. Mentor

Der Mentor ist eine in der Regel positiv besetzte Person. Er ist das Vorbild, der Ratgeber des Helden, vielleicht eine weise alte Frau, ein Trainer, ein Lehrer. Außerdem hilft er dem Helden, seine Ängste und Bedenken zu überwinden.

3. Herold

Der Herold überbringt die Nachricht zum Abenteuer. Er kündigt die Notwendigkeit einer Veränderung an.

4. Schwellenhüter

Der Schwellenhüter ist ein Hindernis auf der Reise des Helden. Er muss überwunden, umgangen oder überzeugt werden. Er prüft, ob der Held bereit und in der Lage ist, weiter zu reisen auf einem Weg, der nun neue Qualitäten gewinnt.

5. Schatten

Der Schatten steht für das Negative, Böse. Meist handelt es sich um die unterdrückten Eigenschaften des Helden – sie werden häufig auf den Gegner verlagert. Er tritt in den Konflikt mit dem Helden, ist nicht so leicht wie der Schwellenhüter zu überwinden, sondern führt zu lebensbedrohlichen, existenziellen Situationen, aus denen der Held verändert, „gewachsen“ heraus kommt.

6. Gestaltwandler

Der Gestaltwandler ist unberechenbar. Er verändert sich immer wieder und ist für den Helden rätselhaft. Er kann ihm helfen oder gefährlich werden, ist Katalystor für die Veränderungen des Helden. Er kann den Helden in die Irre zu führen, ihn vor Rätsel zu stellen oder Zweifel in ihm hervorrufen.

7. Trickster

Der Trickster ist der Schelm. Er sorgt für die Momente der Entspannung.

Langform

Die Heldenreise nach Campbells Modell besteht aus Aufbruch, Initiation und Rückkehr.

Auch hier wird zunächst mit dem Alltag gestartet, in dem wir den Figuren zunächst begegnen (das Fundament wird geschaffen, Routinen werden etabliert).

Max ist kleiner Angestellter bei einer Bank. Sein Chef terrorisiert ihn. Max' Ehefrau hat "die Hosen an". Ablenkung findet er beim Joggen.

Es folgt der Ruf nach Abenteuer.

Eines Tages lernt Max beim Joggen Renate kennen. Renate erzählt ihm von ihrer Leidenschaft zu segeln. Ihr Projekt ist, die Welt zu umsegeln. Max ist begeistert. Er sieht die Chance, aus seinem Alltag, den Demütigungen auszubrechen. Er lernt segeln und setzt es gegen alle Widerstände durch, mit Renate auf die Reise zu gehen.

Die Initiationsreise beginnt.

Am Abend vor dem geplanten Start kommen Max und Renate in einer Hafenspelunke mit einem Skipper ins Gespräch. Er erzählt ihnen, dass auf der geplanten Route mit modernen Piraten zu rechnen sei und rät ihnen dringend zu einer anderen Strecke. Außerdem berichtet er von gefährlichen Strömungen und Winden, die schon manchen Abenteurer hätten kentern lassen. Max und Renate beschließen, die Reise um ein paar Tage zu verschieben um umzudisponieren. Im kurzfristig gebuchten Hotel(-bett) finden die beiden zueinander.
Renate engagiert kurzentschlossen den Skipper als dritten Teilnehmer. Einige Tage später als geplant brechen sie auf.
Bereits am nächsten Tag geraten sie in einen Sturm. Max wird seekrank. Er zweifelt daran, ob er die Reise gesundheitlich überstehen wird. Im Gespräch mir dem Skipper, erinnert sich er plötzlich an eine ähnliche Situation in seiner Kindheit. Nach einigen Abenteuern erreichen sie die Gewässer von Indonesien. Hier werden sie von Piraten angegriffen. Max wird schwer verletzt. Tagelang ist er dem Tode nahe und wird von Fieberträumen geplagt. Der Skipper schenkt ihm einen Ring mit einem Stein blau wie das Meer.

Rückkehr

Die Rückkehr zum Start-Hafen geschieht bei strahlendem Sonnenschein. Max' Ehefrau erwartet ihn bereits am Kai. Max tritt ihr mit neuem Selbstbewusstsein gegenüber, was sie verunsichert. Am nächsten Tag an der Arbeit wird Max zu seinem Chef gerufen, der ihn zur gelungenen Weltumsegelung beglückwünscht. Max' ist skeptisch angesichts der Freundlichkeit seines Chef. Im Gespräch schaut er plötzlich zufällig auf seine Hand und den meerblauen Edelstein seines Rings. Er spürt plötzlich eine große Klarheit und kündigt kurzentschlossen.

Literatur

http://www.impro-theater.de/dmdocuments/wissenschaft/Improvisationstheater_Dramaturgie-Sonja_Thoeneboehn.pdf

Siehe auch: Fünfakter, Protagonist - Antagonist

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last update: 2024-01-14
by Klaus
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